Marienverehrung im Alltag

Zeit für andere


Eine beliebte und oft wiederholte Phrase - wenn nicht Ausrede - unseres industriellen und hoch technologisierten Zeitalters lautet: "Ich habe keine Zeit". Faktisch bedeutet es, dass die Zeit zwar da ist - jedem stehen nämlich 24 Stunden täglich zur Verfügung, praktisch heißt es aber, dass ich mir für das, was die anderen von mir gerade verlangen, keine Zeit nehmen möchte bzw. kann. Das ist eben das Erstaunliche an unserer geteilten Welt: Die einen haben eine hoch entwickelte Lebensinfrastruktur, dafür aber "keine Zeit"; die anderen sind dagegen arm an materiellen Dingen und verfügen über viel Freizeit, welche sie spontan einander schenken. Aus der Perspektive einer Gesellschaft mit fixer Tagesstruktur scheint es, dass der Zeitdruck nicht zu stoppen ist, es sei denn, man wird krank oder man verliebt sich. Die Krankheit und die Liebe haben die Macht die Zeit außer Kraft zu setzen. Der einzige Unterschied ist, dass dem kranken Menschen die Lebensenergie fehlt, der verliebte Mensch dagegen von Lebensenergie sprudelt. Es ist daher interessant den Umgang mit der Zeit bei jenem Menschen zu betrachten, der liebt. Für uns, die Marienverehrer, soll die Aufmerksamkeit in diesem Fall auf die Mutter Jesu gelenkt werden. Sie gehört zu jenen, die sich von der Liebe tragen ließen. Ihr Liebesverständnis war im Gott ihres Volkes verwurzelt. Von ihm hat sie ihre Liebe zu ihren Mitmenschen abgeleitet und nicht zuletzt zu Jesus ihrem Sohn. Die Bibel überliefert uns einige Momente aus dem Leben Mariens, wo der Umgang mit der Zeit zugunsten der anderen Menschen deutlich wird.

Wie schon vorher angedeutet, die Zeit spielt keine Rolle, wenn die Liebe im Spiel ist. Dieser Gedanke ist sympathisch ausgedrückt in einem Lied, das der Jugend der achtziger Jahre bekannt sein dürfte: "Ich hab' heute nichts versäumt, denn ich hab' nur von dir geträumt" (Nena, Nur geträumt, 1982). Ähnlich spielte auch für Maria die Zeit keine Rolle, wenn es darum ging, ihre schwangere Tante Elisabeth im entfernten Land zu besuchen, um ihr dort in den letzten Schwangerschaftsmonaten nahe zu sein (vgl. Lk 1,36-56). Ein Besuch wie dieser hat zwei Aspekte: Anwesenheit und Hilfe. Die Zeit mit einem Menschen zu teilen und ihm behilflich zu sein um der Liebe willen, sagt etwas über die Qualität einer Beziehung aus. Es geht um eine Beziehung, auf die man sich verlassen kann. Die Zeit, die man dem anderen in solcher Beziehung schenkt, spricht gleichzeitig vom Maß der Liebe zu diesem Menschen. Dies lässt sich vom Besuch Mariens bei ihrer Verwandten ablesen. Wir können uns die Frage stellen, ob wir bereit sind uns Zeit zu nehmen für Menschen, die uns wichtig sind oder die  unsere Hilfe brauchen. Schenken wir unsere Zeit auch ohne ständig auf die Uhr schauen zu müssen? Ein anderer Moment aus dem Leben Mariens sagt etwas über die Zeit aus, die man sich für die anderen nimmt, um mit ihnen zu feiern und ihre Freude zu teilen. Es geht um die Hochzeit zu Kana, wo auch Maria eingeladen war (vgl. Joh 2, 1). Hochzeiten im asiatischen Kontext sind etwas Zeitaufwendiges, insofern das Feiern einige Tage in Anspruch nehmen kann. Dafür muss man sich Zeit nehmen. Und wenn man sich teilhaftig an der Freude der anderen zeigen möchte, so bedarf es nicht einer verfälschten Diplomatie, sondern der Liebe oder zumindest des Wohlwollens dem anderen Menschen gegenüber. Ein Marienverehrer sollte in diesem Sinne ein lebensfroher Mensch sein, der sich mit seinen Verwandten, Freunden oder Kollegen offenherzig freuen kann.

Ein drittes Ereignis aus dem Leben Mariens führt uns auf den Kalvarienberg unter das Kreuz Jesu (vgl. Joh 19, 25). Maria nimmt sich Zeit, um ihrem Sohn in den letzten Stunden seines Lebens nahe zu sein. Durch ihr Dasein möchte sie Jesus das Gefühl vermitteln, dass er in seinem Leiden nicht allein gelassen ist. Es ist eine Art trostspendende Nähe. Auch diese Haltung Mariens ist für ihre Verehrer nachahmenswert. Langjährige Krankenpflege, spontane Krankenbesuche oder einem Menschen in seiner Sterbestunde nahe zu sein, sind Zeichen der Liebe, die man nur dann setzen kann, wenn man sich dafür die Zeit nimmt...

fr. Fero M. Bachorík OSM